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Was hat partizipative Führung mit Veränderungsfähigkeit in Teams zu tun?

Ein Interview mit unseren Dozierenden Dr. Ute Schürings und Elena Schmitz
Magazin der Paritätischen Akademie, Berlin 2. Mai 2022


Im letzten Jahr haben wir gemeinsam mit Elena Schmitz und Dr. Ute Schürings den Zertifikatskurs
Partizipative Führung: 4 Kernkompetenzen, um Veränderungsfähigkeit in Teams zu verankern entwickelt und sehr erfolgreich mit den ersten beiden Gruppen durchgeführt. Trotz COVID-19 und sehr viel Belastung in allen Bereichen der Sozialen Arbeit kamen Leitungs- und Führungskräfte gerade auch aus KiTa- oder HzE-Einrichtungen, um ihre Führungskompetenzen zu reflektieren und weiter zu entwickeln. Wir haben uns mit den beiden darüber unterhalten, was Partizipative Führung kann – oder auch nicht kann, und warum es sinnvoll ist, sich damit zu beschäftigen.

Frau Schmitz und Frau Schürings, wie würden Sie in Ihren eigenen Worten Ihre Schwerpunkte in Ihrer Tätigkeit beschreiben?

Schmitz: Ich arbeite seit einigen Jahren viel mit Design Thinking und mit Gruppen im Trainings- und Coachingbereich. Meine Leitfrage dabei ist, wie man gemeinsam neue Dinge auf den Weg bringen kann, Raum für Kreativität zu geben, sie sichtbar und fruchtbar zu machen, gerade auch mit dem Schwerpunkt auf co-kreativem Arbeiten. Über diesen Weg bin ich dann letzten Endes auch zu Teamentwicklung und zur partizipativen Führung gekommen. Denn es hat sich immer mehr herauskristallisiert, dass die Teams nicht nur mit der Methode arbeiten wollen, sondern das auch als Arbeitskultur verankern wollen und sich die Frage stellen, wie sie mit vielen Perspektiven co-kreativ auf Augenhöhe arbeiten können und welche Ansätze es dafür gibt. So haben wir uns dann angesehen, welche Fähigkeiten es dafür braucht und welcher Prozess für ein Team entsteht, um an dieses Ziel zu gelangen. So bin ich zusammen mit Frau Schürings in eine sehr gute co-kreative Zusammenarbeit gekommen, um neue Formate zu entwickeln.

Schürings: Ich bin vor 12 Jahren als Trainerin mit Schwerpunkt interkulturelle Kommunikation gestartet. Hier lag mein Schwerpunkt darauf, mit unterschiedlichen Werten gut zurechtzukommen und eine Akzeptanz für diese Diversität zu entwickeln. So bin ich immer mehr mit den damit verbundenen Führungsthemen in Kontakt gekommen. Im Grunde macht es keinen so großen Unterschied, ob es verschiedene Werte gibt, oder ob die Personen in verschiedenen Kulturen oder Ländern leben. In jedem Team herrscht eine Diversität vor. Es geht nicht immer z.B. um Sprachen und Kulturen, sondern generell darum, wie andere ticken und wie man diese Diversität nutzbar machen kann – und auch als etwas Bereicherndes und Gutes empfinden kann. So bin ich zum Thema partizipative Führung gekommen und habe zusammen mit Frau Schmitz inzwischen mehrere Formate entwickelt.

Was sind so ihre Aha-Momente in der Arbeit mit Gruppen?

Schürings: Was mich immer sehr begeistert ist, wenn ich einladen kann zu mehr Verstehen und dadurch zu mehr Freude. In dem Moment, in dem man die Werte des anderen versteht, kann man schauen, welche Handlung damit verbunden ist und auch bei Problemen neue Wege finden. Man merkt, vorher eckt das ein bisschen an, und dann kann man sich entspannen, weil man einander besser begreift und neue Lösungen und neue Wege findet.

Schmitz: Wir arbeiten in Trainings viel mit dem Thinking Environment von Nancy Klein. Wir nutzen das sehr gerne, um neue Meetingformate und kreative Formate in Teams zu schaffen. Da geht es darum, dass jeder etwas beitragen kann. Mit dieser Haltung zu arbeiten und dafür ein konkretes Format zu haben, mit dem man das ausprobieren kann, ist sehr hilfreich. Natürlich stellen sich die Teilnehmer:innen oft die Frage: „Wie kann ich es denn gestalten, dass alle beitragen können? Die einen reden zu viel, die anderen reden zu wenig. Wir kriegen gar nicht alle richtig gut eingebunden.“ Wenn wir dann das Thinking Environment erklären, kommt ganz oft der Aha-Effekt: „Wir haben das ausprobiert und es hat total toll funktioniert, es war eine ganz andere Stimmung, es ist ganz viel rausgekommen am Ende von diesem Meeting und alle waren dabei.“

Warum haben Sie das Thema partizipative Führung aufgegriffen?

Schmitz: Einmal glaube ich, weil es einfach wahnsinnig in der Luft liegt. Wir merken, dass es ein ganz großes Bedürfnis danach gibt, Arbeit anders zu organisieren. Wir bekommen oft gespiegelt, dass man wegkommen muss davon, dass die Führungskraft die ganze Verantwortung übernimmt und dadurch auch alles regeln und überprüfen muss. Da ist ein großer Wunsch, Aufgaben anders zu verteilen, und zu überlegen, wie sich Leute besser einbringen können. Wie kann es mehr Teilhabe geben, wie kann es auch gelingen, dass Mitarbeitende im Team selbst mehr die Verantwortung für sich übernehmen? Also sich zum Beispiel selbst Regeln geben, dann aber auch darauf achten, dass diese Regeln wirklich gelebt werden, und dass nicht wieder alles bei der Führungskraft hängt. Gleichzeitig ist heutzutage eine ganz andere Schnelligkeit da, eine andere Flexibilität ist gefordert, das geht mit hierarchischen oder starren Führungsstilen nicht mehr so gut.

Schürings: Dahinzugelangen und diesen Veränderungsweg zu gehen, ist natürlich auch immer ein Prozess. Aber wenn es gelingt, und nach und nach solch eine partizipative Kultur entsteht, ist es zum einen ein viel zielführenderes und freudigeres Arbeiten. Damit einher geht aber auch, dass eine andere Kommunikationskultur eingeführt wird, in der anders über Bedürfnisse und über Probleme gesprochen werden kann. Damit man gut miteinander im Gespräch ist, üben wir zum Beispiel im Kurs, wie man die eigenen Bedürfnisse, Ideen, Ansätze äußert, und auch Kritik kommuniziert. Wenn sich alle einbringen, und wenn man einander regelmäßig Feedback gibt, muss man lernen, auch schwierige Dinge besprechbar zu machen. Es ist gar nicht so leicht, sich das zu trauen, und dafür einen guten Ton zu finden.

Zudem glaube ich, dass es auch gesamtgesellschaftlich hilfreich sein wird, wenn wir einen solchen Umgang mehr in der Arbeitswelt etablieren. Uns ist es wichtig, eine größere Sensibilität zu vermitteln, die letztlich die Zusammenarbeit erleichtert und angenehmer macht. Im Grunde muss der ganze Mensch am Arbeitsplatz willkommen sein. Dann kann es gelingen, ein viel größeres Potenzial anzubohren. Wenn jeder erstmal so okay ist, wie er oder sie ist, kann man in einem nächsten Schritt gemeinsam darüber sprechen, wo vielleicht noch Lernbedarf ist oder etwas verbessert werden könnte.

Warum ist es in Ihren Augen jetzt besonders wichtig, sich mit partizipativer Führung, also mit einer Führung, die die Mitarbeitenden auf Augenhöhe einbindet, auseinanderzusetzten? Was sehen Sie in der Entwicklung der Arbeitswelt am Horizont?

Schürings: Durch partizipative Führung können belastbare und stabile Beziehungen in der Arbeitswelt entstehen. Denn gerade für Teams ist es ja ein großes Problem, wenn sehr häufige Wechsel bei den Kolleg:innen stattfinden. Außerdem wird das Leben immer schneller. Daher ist es wichtig, die Arbeitswelt so zu gestalten, dass Vertrauen und Beziehungen entstehen können, die ein gutes Zusammenarbeiten erlauben, so dass in der Zusammenarbeit genaudie Stabilität entsteht, die in den Anforderungen der Außenwelt oft fehlt. 

Schmitz: Unsere Gesellschaft wird immer heterogener. Wir haben ganz unterschiedliche Perspektiven auf Dinge, auch teilweise konträre Perspektiven. Es liegt eine große Chance darin, diese einzubinden und Sachen anders zu machen, als wir sie die letzten 20 Jahre gemacht haben. Gerade auch in einer sehr „deutschen Kultur“ oder einer sehr einseitigen Kultur, in einer sehr männlichen Kultur, je nachdem wie man hinguckt. Der Ansatz der partizipativen Führung bietet viel mehr Schnittstellen, diese Diversität und Heterogenität einzubinden und nutzbar zu machen, und dadurch neue Lösungsmöglichkeiten zu finden, Menschen miteinander in Kontakt zu bringen. Darin liegt ein riesiges Potenzial. Aber es ist auch eine Haltung, die erstmal gelernt werden muss, damit nicht gleich Angst entsteht oder sich Menschen angegriffen fühlen. Ein partizipativer Führungsstil ist ein guter Weg, das in der Arbeitswelt zu gestalten.

Warum sollten aus Ihrer Sicht Leitungs- und Führungskräfte diesen Kurs besuchen? Und welche Kompetenzen lernen sie dann?

Schmitz: Wir beschäftigen uns im Kurs mit Veränderungsprozessen und schauen: Was passiert eigentlich in Veränderungsprozessen? Was blockiert, was fördert Veränderung? Wie kann man alle gut mitnehmen? Ob man will oder nicht, das ist ein Thema, das ständig da ist. Das vermittelt unser Kurs sehr deutlich auf verschiedenen Ebenen und schafft dabei gleichzeitig einen Raum, sich selbst zu reflektieren als Führungskraft. In unserer Fortbildung können wir über einen längeren Zeitraum schauen, wo die eigenen Knackpunkte sind, was gut funktioniert und was der eigene Weg ist, Veränderung zu gestalten. Es gibt nicht diesen einen Standardweg mit einem Methodenkoffer, partizipative Führung einzuführen. Der Weg ist abhängig von der Organisation und vom Team, und auch von der Führungskraft.

Schürings: Was wir auch immer feststellen ist, dass der Austausch untereinander sehr geschätzt wird. Der Kurs ist eine Mischung aus Input, den wir geben, und aus konkreten Übungen und Methoden, die man sofort anwenden kann. Es entsteht ein Raum, den man mit anderen teilt, die ganz ähnliche Problematiken und Fragen haben.

Würden Sie einen Zeitpunkt empfehlen, zu wann eine Führungskraft oder Leitungskraft diesen Kurs besuchen sollte? Ist es egal, ob die Person nur von sich aus dran Interesse hätte, und sich die Organisation noch gar nicht so richtig damit auseinandergesetzt hat, ob Agilität, Selbstorganisation oder Partizipation interessant wäre? Oder würden Sie empfehlen, es ist immer besser, wenn schon gesamtorganisational oder strukturell Entscheidungen in diese Richtung getroffen wurden?

Schürings: Beides ist gut. Zu jedem Zeitpunkt können Teilnehmende etwas mitnehmen oder auch selbst eigene Ideen und Gedanken entwickeln, die sie wieder in ihre Organisation tragen. Der Moment, wo ich als Führungskraft denke, da würde ich aber gerne mal mehr drüber wissen, ist ein guter Moment. Wir probieren zudem immer, diese Tage auch für aktuell brennende Themen fruchtbar zu machen, so dass ein Workshoptag auch der eigenen Reflektion dient. Oft sagen die Teilnehmenden, sie hätten gerade ziemlichen Stress, aber es hätte ihnen genau das gut getan – sich freizumachen, einen Schritt zurückzutreten und anders auf die Dinge zu schauen.

Schmitz: Partizipative Führung ist ja ein skalierbares Model. Die Führungskräfte, die jetzt bei uns sind, die fangen auf jeden Fall erstmal mit ihrem eigenen Team an. Im Seminar ist immer der Raum da, auszuprobieren und in der Gruppe zu reflektieren, was läuft und was nicht läuft. Natürlich ist es eine Frage, wie offen ist die Organisation an sich? Ob man es dann auch in die Breite oder nach oben skaliert bekommt, ist oft ein Thema bei den Teilnehmenden.

Sie arbeiten ja mit ganz unterschiedlichen Organisationen aus der Verwaltung, größeren Konzernen oder der sog. „freien Wirtschaft“ zusammen, bei uns ja hauptsächlich mit Führungskräften aus dem Sozialbereich.

Wie schätzen Sie das Potential für neues Arbeiten, Agilität und Selbstorganisation in der Sozialwirtschaft ein?

Schürings: Ja, sehr gut (lacht). Es macht uns große Freude, weil bereits eine hohe Sensibilität und ein starker Wunsch für dieses Thema da sind. Wir finden, es gibt eine breite Grundlage im Verständnis von Führung. Die Angebote, die wir machen, werden mit großem Interesse aufgenommen und auch umgesetzt. Es gibt ein großes Bedürfnis, sowohl von den Führungskräften als auch von den Mitarbeitenden, beteiligt zu werden, mitzudenken, sich zu engagieren. Das Verbindende ist der Blick auf den Menschen, weil in der Sozialwirtschaft ja mit Menschen gearbeitet wird, und es in dieser Hinsicht eine ganz große Fähigkeit und Wertschätzung gibt.

Schmitz: Zudem finden wir, dass sich Führungskräfte im Sozialbereich viele Gedanken darüber machen, wie sie gut führen können. Einmal, um gute Leute halten zu können, aber eben auch um eine gute Atmosphäre zu schaffen. Außerdem entsteht in den Gruppen schnell eine wertschätzende Atmosphäre, mit der man sehr gut arbeiten kann.

Welche Fallstricke gibt es mit dem Konzept partizipative Führung?

Schürings: Wir stellen häufiger fest, dass es eine Trennung zwischen mittlerem Management und „oberen“ Ebenen gibt. Je näher man quasi an den Klient:innen bzw. den Menschen dran ist, desto größer ist das Interesse an Austausch und einem guten Gelingen und Miteinander. Oft ist das in den höheren Strukturen schwierig, und da entsteht Frustration.

Schmitz: Und es gibt tatsächlich eine hohe Fluktuation unter Mitarbeitenden – dass Teams häufig wechseln und es dadurch erschwert wird, ein starkes Team aufzubauen. Da entsteht das Gefühl, man fängt immer wieder von vorne an. Dann kann es einerseits ein Weg sein, Zusammenarbeit so zu strukturieren, dass Menschen gerne bleiben, und andererseits einen Grundstock im Team aufzubauen, um neue Menschen schneller gut einzubinden. Wir schauen, wie ein kulturelles Level gehalten werden kann, trotz hoher Fluktuation.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview führte Annette Loy, Bildungsreferentin und Bereichsleitung Seminare an der Paritätischen Akademie Berlin

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